About Ampair:e

Klang, aus der Ewigkeit des Nichts entstanden. Molekular, richtungslos, undefiniert, immer im variablen Dialog mit der Stille. Dieser Klang greift Raum, manifestiert sich, geht organische und anorganische Verbindungen ein. Eine Stimme, das Knistern eines Turntables, Electronics, Perkussion. Die Trommeln wollen sich zu einem Groove verdichten, die Stimme hält sie zurück, der Synthesizer schließt sich zu einem Rahmen, dem sich die anderen Komponenten fügen. 

Ampair:e, das sind die Stimmkünstlerin Hanna Schörken, der Pianist und in diesem Kontext vor allem Synth-Spieler Constantin Krahmer und der Schlagzeuger Bernd Oezsevim. Alle drei kommen aus ganz unterschiedlichen Lagern von Jazz und improvisierter Musik und haben als Kollektiv den Mut, sich über ihre Gegensätze statt ihre Gemeinsamkeiten zu definieren. Und das ist dann auch schon alles, was definiert wird, denn die Musik von Ampair:e funktioniert wie die Urmasse vor dem großen Knall. Alles ist möglich, nichts kann ausgeschlossen werden, und aus dem Prozess des gemeinsamen Musizierens ergibt sich der Kontext, innerhalb dessen sich das Geschehen entwickeln kann. Die Elastizität, Flexibilität und Transparenz dieses permanenten Verdichtens und Auseinanderdriftens setzt verschiedenste Assoziationsräume frei. Man kann die Musik als Jazz, als freie Improvisation, als Trance Musik, als elektronische oder elektroakustische Musik, aber auch als Krautrock hören.

Songs und Formen werden frei assoziiert. Auch die Texte werden im Moment der Darbietung frei erfunden. Doch statt Improvisation im herkömmlichen Sinne erspüren Hanna Schörken, Constantin Krahmer und Bernd Oezsevim intuitiv die Veränderlichkeit der klingenden Aggregatzustände ihrer Tracks. Als wäre die Musik bereits im Raum und wolle nur noch durch ihr dreiköpfiges Medium manifestiert werden, tauchen aus dem Hintergrund vage Torsi von Songstrukturen auf, die in eine völlig andere Richtung abbiegen, sowie man sie zu greifen sucht. Repetitive Rhythmen verlieren sich in einem Delta aus Sounds, die Stimme wird entkörperlicht, die synthetischen Klänge erlangen eine starke Physis. Innerhalb der Musik verschieben sich alle Komponenten, um auf der Projektionswand der Rezeption je nach mentaler Verfassung, Örtlichkeit oder Tageszeit  noch einmal eine Vielzahl von Möglichkeiten zuzulassen.

Ampair:e gründete sich 2016, zunächst noch mit Schörken, Krahmer und einem anderen Drummer. Oezsevim stieß 2018 hinzu. Die Musik des Debütalbums und der parallel dazu aufgenommenen Videos entstand während einer 14tägigen Residenz im Essener Maschinenhaus. Vor dieser sehr komprimierten Arbeitsphase haben die Mitglieder des Trios jedoch nur sehr sporadisch und oft Monate lang überhaupt nicht miteinander musiziert, woraus sich auch die große Offenheit ihrer heterogenen musikalischen Zustandsbeschreibungen erklärt. „Musikalisch gesehen passen wir eigentlich gar nicht so richtig zusammen“, postuliert Hanna Schörken schmunzelnd. Doch dafür, dass sie nicht zusammenpassen, passen sie wiederum erstaunlich gut zusammen, denn gerade durch ihre unterschiedlichen Positionen bilden sie einen dreidimensionalen Raum, der eben keiner Festlegung oder Kategorisierung bedarf.

Stilistische Vergleiche zu Ampair:e zu finden, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Fans von Susanna & The Magical Orchestra können an dem Album genauso ihre Freude haben wie Hörer und Freunde von Faust, Supersilent, Annette Peacock, Jeanne Lee oder Autechre. Und damit sind keine bewussten Bezugspunkte von Ampair:e gemeint, sondern lediglich partielle musikalische Parallelerscheinungen im weiten Kosmos des Unkategorisierbaren. Der Grund liegt in jener so selten zu findenden Qualität einer genuinen Urschöpfung, die sich nicht auf Bisheriges stützt, sondern nur aus sich selbst heraus erfasst und erklärt werden kann. Der rote Faden, der sich durch das Album als Ganzes und auch jeden einzelnen Track zieht, ist ein originäres Werden und Entstehen aus etwas, das es vorher noch nicht gab.

„Der Raum hat ja immer Einfluss auf das, was man tut“, resümiert Hanna Schörken. „Das Maschinenhaus in Essen ist ein ganz altes Stück Industriekultur. Wir wollten uns genau dort einfinden, weil es so isoliert und abgeschieden ist. Die Idee bestand zunächst darin, für dieses Projekt Raum zu schaffen. Auf der Bühne überhaupt unseren Platz zu finden, hat viel Zeit in Anspruch genommen. Nachdem wir uns tatsächlich aufgestellt hatten, fingen wir an zu spielen und stellten fest, dass wir uns aus diesem Nichts immer etwas nehmen konnten. Ich persönlich hatte stets das Gefühl, die Masse ist vorhanden, und ich klopfe sie ab, als würde ich an einer Skulptur arbeiten. Das anfangs Ungefähre wurde für mich immer präziser.“

Diesen Prozessen zu lauschen hat den Doppelcharakter, als würde man gleichzeitig von einem Satelliten aus auf die Erde herabblicken und mit einem Elektronenmikroskop in die Struktur eines Atoms eindringen. Welle oder Teilchen? Ampair:e überlassen die Entscheidung dem Hörer, denn – so trivial es klingen mag – erst beim Hören gehen die transzendenten Klang-Skulpturen von Hanna Schörken, Constantin Krahmer und Bernd Oezsevim komplett auf.

Wolf Kampmann